Page 6 - Bethanien Kinderdorf Präventionsleitfaden
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Präventationsleitfaden_2013_Bethanien Kinderdorf 06.08.13 12:02 Seite 6
6 INFORMATION UND DEFINITION
1.2 Was ist sexuelle Gewalt?
In der Öffentlichkeit ist meist von sexuellem Missbrauch die Rede. Wir sprechen von sexueller Gewalt oder
sexuellen Übergriffen und nicht von Missbrauch, weil der Begriff Missbrauch vermittelt, dass es im Gegensatz
dazu auch einen richtigen „Gebrauch“ von Kindern gibt. Ein Kind oder Jugendlicher wird sexueller Gewalt aus-
gesetzt, wenn er oder sie zu körperlichen oder verbalen sexuellen Handlungen durch Kinder, Jugendliche oder
Erwachsene veranlasst oder ihnen ausgesetzt wird. Die Täterin oder der Täter verletzt die Intimsphäre einer Per-
son und befriedigt aufgrund von Macht- oder Generationengefälle und/oder der Abhängigkeit des Kindes/Jugend-
lichen ihr/sein Machtbedürfnis unter Zuhilfenahme von sexuellen Handlungen. Sexuelle Gewalt an Kindern und
Jugendlichen ist Machtmissbrauch, verbunden mit der psychischen und/oder physischen Verletzung der Integrität
(Unversehrtheit).
Unter sexueller Gewalt ist u.a. zu verstehen:
Gebrauch sexualisierter Worte, Blicke, Gesten, die das Kind/den Jugendlichen zum Sexualobjekt
herabstufen
Sexualisiertes Berühren und Streicheln der Geschlechtsteile und intimer Körperzonen
Orale, anale, vaginale Penetration mit Geschlechtsorganen oder Gegenständen
Vorzeigen von Bildern, Filmen oder realen Situationen, um sich oder das Kind/den Jugendlichen
sexuell zu stimulieren oder befriedigen zu lassen
Veranlassung von Berührungen am eigenen Körper (mit oder ohne Zwang), um sich darüber
sexuell zu befriedigen
Veranlassung von sexuellen Handlungen am Körper des Kindes/Jugendlichen
Fotografieren des Kindes/Jugendlichen nackt oder in „sexuellen Posen“
Veranlassung des Kindes/Jugendlichen zu sexuellen Handlungen mit Tieren
Voyeurismus
1.3 Formen sexueller Gewalt
Im Sinne eines fachlich fundierten Umgangs mit Formen sexueller Gewalt im pädagogischen Alltag empfiehlt sich
1
eine Differenzierung zwischen:
a) Grenzverletzungen, die unabsichtlich verübt werden und/oder aus fachlichen bzw. persönlichen
Unzulänglichkeiten oder einer „Kultur der Grenzverletzungen“ resultieren,
b) Übergriffen, die Ausdruck eines unzureichenden Respekts gegenüber Mädchen und Jungen,
grundlegender fachlicher Mängel und/oder einer gezielten Desensibilisierung im Rahmen der
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Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs /eines Machtmissbrauchs sind,
c) strafrechtlich relevante Formen der Gewalt (wie zum Beispiel körperliche Gewalt, sexueller
Missbrauch, Erpressung/(sexuelle) Nötigung).
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Die Inhalte dieses Abschnittes sind entnommen aus URSULA ENDERS, YÜCEL KOSSATZ, MARTIN KELKEL: zur Differenzierung zwischen
Grenzverletzungen, Übergriffen und strafrechtlich relevanten Formen der Gewalt im pädagogischen Alltag, ZARTBITTER KÖLN e.V. 2010
(www.zartbitter.de/Fachinformationen).
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Der Gesetzgeber spricht im Strafgesetzbuch §176 von sexuellem Missbrauch, deshalb wird in diesem Abschnitt der Begriff verwendet.