Page 9 - Bethanien Kinderdorf Präventionsleitfaden
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Präventationsleitfaden_2013_Bethanien Kinderdorf 06.08.13 12:02 Seite 9
INFORMATION UND DEFINITION 9
1.4 Woran erkenne ich sexuelle Gewaltanwendung?
Jedes Kind, jeder Jugendliche, versucht die sexuelle Gewalt zu verhindern und zu beenden. Auch wenn die
meisten Kinder und Jugendlichen nicht wagen, offen darüber zu reden, so teilen sie sich dennoch mit. Ihre
verschlüsselten Hinweise und Andeutungen werden oft von den Erwachsenen nicht verstanden. Grundsätzlich
ist festzustellen, dass es keine eindeutigen Anzeichen für sexuelle Gewalt gibt. Alles was den Verdacht auf
sexuelle Gewalt nahelegt, kann immer auch andere Gründe haben und muss daher im Gesamtkontext der Kin-
der und Jugendlichen und deren Lebenssituation gesehen werden.
Ein Anzeichen für einen sexuellen Übergriff kann sein, dass sich das Verhalten von Kindern und Jugendlichen
ohne ersichtlichen Grund ändert, so dass die Umgebung darauf reagiert mit der Frage: „Was ist bloß mit ihr/ihm
los? So war sie/er doch sonst nicht! Irgendwas stimmt mit ihr/ihm nicht. So kenne ich sie/ihn ja gar nicht!“, z.B.:
Vielleicht ist das Kind/der Jugendliche auf einmal verschlossen und bedrückt, zieht sich zurück,
erzählt nicht mehr unbefangen von alltäglichen Erlebnissen.
Vielleicht ist das Kind/der Jugendliche plötzlich übernervös und unruhig, zeigt vielleicht ein
unübliches aggressives Verhalten.
Manche Mädchen und Jungen spielen nach, worüber sie nicht reden dürfen, oder benutzen eine
auffällig sexualisierte Sprache.
Es kann sein, dass das Kind/der Jugendliche ganz besonders angepasst oder ruhig ist, aber plötzlich
bestimmte Orte, Situationen oder Personen meidet, um so dem Täter oder der Täterin und der
Situation aus dem Weg zu gehen.
Es ist möglich, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr alleine ins Bett gehen, sie möchten nicht
mehr abgedunkelt einschlafen oder gehen zu den Geschwistern ins Bett.
Manche betroffenen Kinder und Jugendliche sind bemüht, nicht aufzufallen, sich „unsichtbar“ zu
machen oder versuchen sich durch dicke Kleidung – unabhängig von Temperaturen – zu schützen.
Jedes Mädchen und jeder Junge erlebt sexuelle Gewalt auf ihre/seine eigene Weise und versucht auf ihre/seine
Weise damit umzugehen. Die Reaktionen der Mädchen und Jungen sind somit so unterschiedlich wie die Kinder
und Jugendlichen selbst.
Körperlich auffallende Symptome können sein: Verletzungen und Erkrankungen im Genital- und Analbereich,
aber auch Knutschflecke, Bisswunden und Quetschungen im Genitalbereich, Po, Bauch und Oberschenkel.
Psychosomatische Symptome können jede Art von Schmerzen und Übelkeit ohne erkennbare Ursache sein, Ess-
störungen, übertriebener Waschzwang, Schlafstörungen, Alpträume, Einnässen, Einkoten, Sprachstörungen,
Lähmungserscheinungen, Hautausschläge, Suizidgedanken oder –versuche, selbstverletzendes Verhalten.
Psychische Symptome können sich in Form von niedrigem Selbstwertgefühl zeigen, Zweifel an der eigenen Wahr-
nehmung und an Gefühlen, Depressionen, massive Angstgefühle, regressive Verhaltensweisen (z.B. wieder
umsorgt werden wollen, an Erwachsene klammern, Daumen lutschen), nichts an sich heranlassen, Abspalten,
Hyperaktivität.
Soziale Symptome zeigen sich durch Rückzug oder auch verstärkte Kontaktaufnahme zu anderen Kindern oder
Erwachsenen. Plötzliche Leistungsverweigerung oder Leistungssteigerung und Konzentrationsstörungen können
Hinweise auf mögliche sexualisierte Gewalt sein. Manche Kinder und Jugendliche zeigen ein auffälliges Sexual-
verhalten, wirken distanzlos und/oder benutzen eine Fäkalsprache.
Manche Mädchen und Jungen versuchen sich langsam und vorsichtig an ein Gespräch heranzutasten, um den
sexuellen Übergriff mitzuteilen. Sie machen Andeutungen, die wir auf Anhieb nicht verstehen. Manche Kinder und
Jugendliche testen mit ihren Andeutungen zuerst einmal die Reaktionen und die Gesprächsbereitschaft der
Erwachsenen. Kinder und Jugendliche brauchen das Gefühl und die Sicherheit, über alle Erlebnisse reden zu können.